Nabucco und das kanadische „Bärenfutter“
Reittrekking im Engadin
Mit Nabucco trittsicher über Stock und Stein
Nein, wir hören unterwegs keine Opern. Nabucco ist der Name eines unserer Pferde vom Stall San Jon. Er hat – wie alle anderen in San Jon geborenen Pferde – den Namen einer Oper erhalten. Beeindruckend ist aber vielmehr, wie uns Nabucco und die anderen Pferde scheinbar mühelos über die Pässe tragen. Jeder Schritt sitzt, auch wenn’s mal eng wird und steil über Stock und Stein geht. Da kann man als Reiter unbekümmert die wunderbare Landschaft vom Pferderücken aus geniessen.
„Es muss nicht immer Kanada sein!“
Das ist der Slogan von San Jon, dem Anbieter des Reittrekkings. Unsere drei Kanadischen Mitreiterinnen hat das wohl neugierig gemacht. So haben sie entschieden, die Probe aufs Exempel zu machen. Und sie sind begeistert! „Ja, die Landschaft ist zum Teil wirklich sehr ähnlich“, räumen sie ein. „Aber hier können wir im Unterschied zu Kanada auf gut unterhaltenen Wegen reiten und kommen immer wieder mal in kleine, herzige Engadiner Bergdörfer. Das haben wir zu Hause nicht. Einfach unglaublich entzückend!“
Bärenbesuch im Nationalpark
Unterwegs erfahren wir, dass in der Nationalparkegion auch immer wieder mal Bären zu Besuch sind. Auch wenn wir nicht im Park selber reiten, ist das irgendwie faszinierend. „Ich habe gehört, dass ein Bär, wenn er auf der Jagd ist, immer auf die Mitte einer Tierherde losgeht. Ist das wahr?“, fragt eine Reiterin, die ironischerweise selber immer in der Mitte unserer Gruppe reitet. Unsere Bären-erprobten Kanadierinnen geben Entwarnung: Bären ernähren sich vor allem vegetarisch und von Kleintieren wie Vögeln oder Nagern. Dass sie Jagd auf ein Pferd machen, hätten sie noch nie gehört. So können wir unseren Ritt ganz entspannt fortsetzen und uns an den Murmeltieren erfreuen, die neugierig aus der Erde schauen.
Traumjob Cowboy?
Wer meint, dass so ein Tagesritt durch die Berge einfach nur „bequem und entspannend“ ist, der wird schnell eines Besseren belehrt. Natürlich, die Höhenmeter überwindet man auf dem Pferderücken quasi mühelos. Die Pferde von San Jon sind ausdauernd, trittsicher und gutmütig, weshalb Grundkenntnisse im Reiten für das Trekking ausreichend sind. Wer jedoch nicht daran gewohnt ist, täglich mehrere Stunden im Sattel zu sein, merkt spätestens am zweiten Morgen, dass beim Reiten Muskeln beansprucht werden, deren Existenz man sich bis dahin gar nicht so bewusst war. Unterwegs gehört selbstverständlich auch die Versorgung unserer Pferde dazu. Sie geht auch abends immer vor, bevor wir selber in den einfachen aber gemütlichen Gasthäusern die Beine hochlegen.
Der Herbst in all seinen Facetten
Zugegeben, am ersten Tag müssen wir uns richtig warm anziehen, nur wenige Tage zuvor lagen auf unserem Weg noch bis zu 10 cm Schnee. Aber: es gibt bekanntlich ja kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung - und so lassen wir uns die Stimmung davon nicht trüben. Bereits am zweiten Tag zeigt sich das Wetter versöhnlicher. Der Schnee auf den Berggipfeln im Val Mora glitzert in der wärmenden Herbstsonne während die klaren Bergbäche talauswärts rauschen. In all seiner Pracht präsentiert sich der Herbst auf unserem Rückweg. Bei stahlblauem Himmel kommt das bunte Farbenspiel der Natur im Ofenpassgebiet und Val S-charl so richtig zur Geltung.
Hoch zu Ross durch die Nationalparkregion
Etwas erschöpft aber zutiefst beeindruckt kommen wir am letzten Tag wieder in San Jon an und lassen das Trekking vor unserem geistigen Auge nochmals Revue passieren. Von Scuol führte die erste Etappe über S-charl durch den höchstgelegenen Arvenwald Europas, den God da Tamangur, und den Pass da Costainas bis nach Tschierv. Auf der zweiten Etappe ritten wir durch das wildromantische Val Vau mit seinen schönen Wasserfällen in das unberührte Hochtal Val Mora. Wie in einer anderen Welt, gefühlt unendlich weit weg von der Zivilisation, genossen wir den Ritt durch die malerische Bergwelt, der in Buffalora endete. Über den Ofenpass erreichten wir während der letzten Etappe das Skigebiet Minschuns, von wo wir die Fuorcla Funtana da S-charl erklommen und den Rückweg nach San Jon antraten. Das Glück dieser Erde – wir haben es gefunden.
Text & Bilder: Martina Stadler