Botschafter der Neugier.
Peter Langenegger
«Warum wissen Sie eigentlich so viel?» wurde Peter Langenegger vor einiger Zeit nach einer seiner Dorfführungen von einem kleinen Buben gefragt. Er antwortete ihm: «Bleib immer neugierig; du musst immer etwas wissen wollen!» Ob der Bub den tieferen Sinn dahinter verstand, ist nicht bekannt, doch zumindest die Eltern strahlten und fanden es die perfekte Antwort. Die Neugier ist es, welche Peter schon sein ganzes Leben begleitet und die er anderen Menschen mitzugeben versucht. Sein Vater prägte ihn sehr hinsichtlich dieser Lebenseinstellung. Von seiner Mutter, welche den Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebte, bekam er Achtung des Menschen und Nächstenliebe in die Wiege gelegt.
Eine Schule fürs Leben
Prägend waren für Peter, der in der Surselva aufwuchs, auch die sieben Jahre an der Klosterschule Disentis mit Matura Typus A und damit Latein und Griechisch – weniger die Sprachen selbst, sondern vielmehr die damit verbundene Kultur, Kunst, Architektur, Geschichte oder Philosophie. Anschliessend folgte ein Architekturstudium mit vier Semestern an der ETH Zürich und fünf Semestern «Abendtechnikum» an der damaligen HTA Chur. Tagsüber arbeitete er in einem Architekturbüro und stiess dort auf einen Katalog der ETH-Ausstellung von Architekt Rudolf Olgiati aus Flims. Peter war sofort dermassen fasziniert davon, dass er sich drei Jahre später bei Olgiati bewarb und die Anstellung bekam. Er bezeichnet seine dortige Zeit als eine Art Seh-Schule. Olgiati entwickelte seine «visuelle Logik» und erkannte bedeutsame, übereinstimmende Gestaltungsprinzipien in der ursprünglichen Engadiner Baukultur, der des klassischen Griechenlands und der Moderne Le Corbusiers. Ein Vorzeichen, dem Peter damals noch keine grosse Bedeutung beimass: In einem der Räume Olgiatis hing ein grosses, altes Bild von Scuol Plaz mit dem Unterengadiner Museum im Hintergrund. So viel ihm die Zeit dort auch bedeutete; nach nur neun Monaten war sie mangels Aufträgen zu Ende, nicht jedoch die Freundschaft mit ihm. So führte ihn sein weiterer Weg nach einem Jahr beim damals grössten Architekturbüro Graubündens schliesslich zum Architekturbüro von Schimun Denoth in Scuol.
Seiner Zeit voraus
Nach einem schönen Arbeitsverhältnis während elf Jahren machte sich Peter 1994 als Architekt selbständig. In Disentis sicherte er sich ein Grossprojekt eines Resorts auf 9000 m2 mit dem Ziel warmer Betten, zusammen mit der grössten regionalen Energieunternehmung. Zudem setzte er auf verdichtete Bauweise, Autofreiheit, Solarenergie und moderne Bündner Architektur. Wegen mühsamen Ortsplanrevisionen konnte erst 2003 mit dem Bau begonnen werden. Doch dann folgte der Paukenschlag: Ein Bündner Energiekonzern übernahm die regionale Unternehmung, war aber nicht an Solarenergie, sondern an Kohle und Gas interessiert – der Genickbruch für das Projekt. Heute steht nur ein Gebäude der zehn geplanten. Peter verlor seine Arbeit, viel Geld und einiges an Motivation für Architekturaufgaben. Es war ein starker Einschnitt in sein Leben. Glücklicherweise konnte er das Verlorene in anderer Form wiedererlangen. Als selbständiger Architekt ist er bis heute während seiner Pension tätig. Doch nach dem Ende des Grossprojekts musste eine branchenfremde Beschäftigung her. Diese fand er bei Scuol Tourismus.
Wenn man einmal bei Rudolf Olgiati gearbeitet hat, kann man nicht mehr zu einem 0815-Architekturbüro wechseln. Das wäre die reinste Tortur. So kam ich zum Tourismus.
Peter Langenegger
Faszination für die Region
Bei der Tourismusorganisation, wo Peter 2017 pensioniert wurde, erlebte er eine schöne Zeit. Er konnte seine Fremdsprachen- und Regionenkenntnisse ideal einsetzen. Fast jeden Stein kennt er hier in der Gegend, da er mit seiner Familie oftmals Wanderausflüge unternahm. S-charl mit seinen Seitentälern und Gipfeln hat es ihm besonders angetan und biete vor allem mit Kindern fantastische Ausflugsziele. Aber zum Beispiel auch Vnà oder Raschvella schätzt er wegen ihrer Unberührtheit sehr. Nebst der Engadiner Natur und den Bergen ist Peter ebenso fasziniert von der Baukultur. Zwischen Maloja und Martina sieht kein einziges Engadinerhaus gleich aus und ein Engadiner Dorf bietet eine spannende Kombination von Individualität und Gemeinschaft mit den öffentlichen Plätzen. Im Gegensatz dazu entstehen mit der modernen Bauweise nur noch langweilige Abstände zwischen Gebäuden. So werde er niemals im neuen Scuoler Dorfteil oberhalb der Umfahrungsstrasse eine Dorfführung machen, das sei zu langweilig und gebe nichts zu erzählen.
Selbst Le Corbusier besuchte das Unterengadin und war dermassen fasziniert von der Baukultur, dass er sich für eines seiner berühmtesten Bauwerke davon inspirieren liess, die Kapelle Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp. Man erkennt das gleiche Gestaltungsprinzip mit Trichterfenstern und der plastischen, weissen Schale.
Peter Langenegger
Dorfführungen wie sonst nirgends
Interessant für eine Führung ist hingegen Scuols alter Dorfkern. Noch heute ist Peter oft Teil der wöchentlichen Dorfführung, die er vor etwa 20 Jahren zusammen mit weiteren Ferientipps mitentwickelt hat. Etwas später kam auch noch die Kirchenführung hinzu. Beide enden mit einem Rundgang und Apéro im Museum d’Engiadina Bassa. Das macht sie besonders wertvoll, denn so offenbart sich einem die authentische Engadiner Wohn- und Arbeitskultur mit ihrem einzigartigen Schönheitssinn. Einige Personen reisen jedes Jahr nur deswegen an. Nicht nur bei ihnen lösen die Führungen und das Museum stets äusserst positive Reaktionen aus. Es sei etwas sehr Spezielles, was es sonst nirgends gäbe. Ebenfalls nicht vorhanden ist jeweils ein fixes Ende der Führungen, denn insbesondere beim Apéro entstünden spannende Fragestunden.
Spiel mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Das Unterengadiner Museum, eingestuft als Museum von regionaler Bedeutung, kennt Peter wie seine Westentasche, schliesslich ist er schon einige Jahre Präsident dessen Museumsvereins und auch Vorstandsmitglied des Dachverbands Museen Graubünden. Als erste Amtshandlung las er die Statuten der Museumsgründer von 1956. Sie besagen, dass sich das Museum nicht nur mit der Vergangenheit befassen soll, sondern auch mit der Gegenwart und Zukunft. Diesen Leitsatz nehmen Peter und der Verein bis heute sehr ernst und richten die Dauer- sowie meist jährlich wechselnden Sonderausstellungen darauf aus. Stolz ist Peter auf den per 2024 neu beschafften, interaktiven Tisch mit Touchscreen, an dem sich bis zu vier Personen gleichzeitig über die Unterengadiner Geschichte informieren können.
Engadin mit griechischem Flair
Bei Rudolf Olgiati lernte Peter, was immer zu einem Bau gehört: die Kombination von Rationalität, Funktionalität und Ästhetik. Als Architekt*in müsse man optische Regeln erkennen und ausarbeiten können, also sich der Bedeutung und Wirkung von Farben und Formen auf das menschliche Auge stets bewusst sein. Jede Farbe enthält einen gewissen Anteil Schwarz, und je dunkler etwas gefärbt ist, desto eher verschwindet es optisch. Damit lässt sich spielen und Wichtiges betonen sowie Unwichtiges verschwinden lassen. Sich von der organischen Umwelt abhebende geometrische Formen unterstützen dies zusätzlich. Gerade bei so etwas Wichtigem wie einem Hausbau, was man nur einmal im Leben macht, sei dies zentral. Darauf fussen auch die Engadinerhäuser, die früher überwiegend weiss gekalkt waren. In alten Forscher- und Reiseberichten wird erwähnt, dass die Engadiner Dörfer wie eine griechische Inselsiedlung wirkten. Mit diesem Bewusstsein im Hinterkopf prüft Peter in der Scuoler Baukommission als zusätzliches Amt in seinem «Unruhestand» regelmässig Baugesuche hinsichtlich Gestaltung und Ästhetik. Was ihn dort oder auf Führungen zukünftig alles noch erwartet, darauf ist Peter selbstredend neugierig wie eh und je.
Text: Roger Kreienbühl
Bilder: Michelle Zbinden, Dominik Täuber