Eine Retrospektive
50 Jahre Passlung
Anlässlich des Geburtstags, übrigens feiert auch der «KIDS CROSS» seinen 30sten, ist es Zeit einen Blick auf die Anfänge zurückzuwerfen. Wir bieten fünf Interviews mit Personen, die die Langlaufkultur im Unterengadin entscheidend mitgeprägt haben.
Giovanni Mathis (JG 1941):
Gründer des Worts «PASSLUNG»
Giovanni wie kam es zu dem Wort «Passlung»?
Das Langlaufen war im Unterengadin bereits etwas etabliert. Unsere Loipe spurten wir selbst auf den Pfaden im Wald. Anfänglich glich das mehr einem Spazieren im Schnee mit Ski an den Füssen.
Und dann?
Wir wurden technisch versierter. Schneller und ausdauernder. Zu den Zeiten als der Engadiner Skimarathon gegründet wurde, war auch die Zeit bei uns reif für einen Wettkampf. Ich erinnere mich an die erste Ausschreibung unseres Rennens für die Zeitung. Dabei fehlte das romanische Wort für Langlauf. Ich brachte kurzerhand das Wort «Passlung» (Langer Schritt) aufs Papier. Dies wurde akzeptiert und so war der Begriff geboren.
Was waren damals die grössten Hürden?
Die Bekanntmachung des Rennes lief einerseits über die Engadiner Post. Wir telefonierten viel, um die Informationen zu streuen. Mund zu Mund Propaganda war ein weiteres Mittel der Wahl, um auf die Veranstaltung hinzuweisen. Das erforderte viel Zeit und Engagement. Die Zahlen gaben uns recht. Anfang der 80er Jahre hatten wir bis zu 500 Personen am Start.
Es lief also alle wie am Schnürchen?
Naja. Gab es zu wenig Schnee waren wir gefordert Alternativen zu finden. Weil der Vereina-Tunnel noch nicht existierte, war aber auch zu viel Schnee ungünstig. Eine Sperrung der Flüelapass bedeutete eine ewige Anreise für Teilnehmende aus dem Unterland und führte auch zu Ausfällen. Wir hatten somit viel Varianz.
Wer gesellte sich zu den Anfängen um dich?
Die Veranstaltung wurde möglich, weil wir einen Verbund schlossen aus allen Unterengadiner Skiclubs. Damals hatte noch jedes Dorf seinen eigenen Club. Und die Mitglieder zeichneten sich zum Renntag hin verantwortlich für jenen Streckenabschnitt, der auf ihrem Gemeindeboden lag. Wir konnten auf den Einsatz vieler Voluntaris zählen. Zuweilen war das Engagement so gross, dass aus dem Auftrag «Büsche zurückschneiden für ein breiteres Loipentrassee» ganze Baumfällaktionen wurden. Da durfte ich dann wieder beim Forstwart vorsprechen und die Wogen glätten (Augenzwinkern).
Otto Friedt (JG 1936):
Mann mit Vision «Loipe Martina – Scuol»
Otto, du warst massgeblich daran beteiligt, Martina mit Scuol per Loipe zu verbinden.
Ja, wir brauchten ein Trassee um überhaupt ein Rennen veranstalten können. Anfänglich hatten wir die Loipe lediglich auf den Pfaden im Wald. Bedingt durch dichte Baumwipfel hatten wir teilweise eine zu wenig dicke Schneedecke am Boden.
Wie kann man sich das vorstellen?
Zwischen dem EKW und Sur En beispielsweise existierte noch keine Strasse. Dem Inn entlang gab es nur ein unebenes Waldweglein durch den dichtstehenden Wald. Probiere dort mal eine renntaugliche Spur zu präparieren!
Ihr musstet also Hand anlegen?
Und zwar gehörig. Dabei brauchten wir die Einwilligung des Forstes und der Gemeinden. Auch damals bereits kein leichtes Spiel.
In Sur En gab es den Uferwechsel.
Weil rechtsseitig des Inn kein Durchkommen war, mussten wir uns für die flusslinke Seite entscheiden. Zwischen Panas-ch und Ramosch waren gar Sprengarbeiten nötig. Da fuhren wir mit gröberem Gerät auf.
Wurde das auch regional mitgetragen?
Uns ergab sich die Chance, weil die Projektidee in einem Konzept von «Pro Engiadina Bassa» verankert war. Dies, um die Region und deren Potential zu fördern. Peder Rauch, damals administrativ bei PEB tätig, investierte viel Zeit und machte auch eine Austauschfinanzierung möglich.
Es brauchte also nebst den freiwillig geleisteten Stunden finanzielle Mittel?
An Ersterem scheiterte es nicht. Darauf bin ich heute noch stolz. Grössere Schritte waren jedoch erst möglich durch Kredite. Aber wer würde dafür haften? Schlussendlich fanden wir Wege, um unsere Vision umzusetzen. Klar mussten wir dafür auch tricksen. Später konnten wir einen Skidoo anschaffen und gar einen Mann (Hans Vonmoos) für die Loipenpräparation bezahlen. Das Trassee wuchs so weit, dass man heute einen wahren Loipenteppich darauf ausrollen kann.
Ursina Rauch (JG 1946):
Langlauftrainerin für die Jüngsten
Was sind deine ersten Erinnerungen an das Langlaufen?
Ich erinnere mich an die Holzski meiner Mutter. Die waren dreimal grösser als ich. Die ersten Rutscherfahrungen sammelte ich mit diesem Paar Ski auf dem Hönggerberg in Zürich.
Wie war die Stimmung zu den Anfängen des Passlung?
So wie wir heute hier sitzen! Wir waren damals bereits Freunde und hatten die gleiche Faszination für den Sport. Auf Loipe aber zeigte sich bereits Konkurrenz (lacht).
Das heisst, die Ambitionen waren ausgeprägt?
Bei manchen auf jeden Fall! Ich hatte aber stets die Perspektive «Freudvolles Langlaufen». Einige Male stand ich selbst am Start. Viel öfters jedoch am Streckenrand und im Zielraum und feuerte an.
Es wird behauptet, du liefertest das beste Doping?
Tatsächlich? Ich kann gar nicht glauben, dass mein hausgemachter heisser Sirup am Start und im Zielraum solche Wirkung erzielen würde. Vielleicht war es aber eher mein Engagement als Trainerin für die Jüngsten.
Gibst du uns einen Einblick?
Wir starteten unser Training jeweils mit dem ersten Schnee im Oktober oder November. Dann wurden alle Kinder zuerst mit dem Alpinski aufgeboten, um auf dem Boden von San Jon die Loipe einzutrampeln. Anschliessend legten wir zusammen auf den Langlaufski los. Meine Kinder waren da auch dabei. Anfänglich noch in der Pulka. Später standen auch sie am Start des Passlung. Und wer weiss, vielleicht packt es auch die Enkel?
Armon Nuotclà (JG 1948):
Im Ziel. Immer!
Armon, ist es eine Selbstverständlichkeit, an allen bisherigen Austragungen dabei gewesen zu sein?
Natürlich nicht. Allen voran braucht es Glück, um eine solche Konstante zu haben.
Glück und Vernunft?
Auch vernünftig waren meine Teilnahmen nicht immer. Einmal holte ich mir kurz vor einem Renntermin einen Rippenbruch. Also lief ich dann mit nur einem Arm. Den anderen, auf der Seite des Rippenbruchs, trug ich in der Schlaufe. Manchmal stand ich auch halb krank am Start…aber was ist schon vernünftig?!
Das Rennen glänzt immer wieder mit einem hochwertigen und internationalen Teilnehmerfeld. Wie konntest du dich darin behaupten?
Mir war immer klar, dass ich schon wegen dem Material immer einen Schritt hinterher hänge. Hatten die Cracks bereits Ski mit Sinterbelägen, lief ich noch Holzski. Wurde der Siitonen-Schritt populär, lief ich noch rein klassisch. Meine jetzigen Ski sind auch nicht die Neuesten. Aber es genügt für eine Leistung, mit der ich zufrieden bin.
Was ist dein Motiv dich immer wieder der Herausforderung «Passlung» zu stellen?
Mir geht es um die Freude am Sport und der Bewegung. Damals wie heute.
Wir sind heute schnell unzufrieden mit dem Zustand der Loipe. Was sagst du dazu?
Ich sehe das relativ. Es waren Austragungen dabei, da liefen wir sozusagen auf dem Erdboden. Einmal, das war etwa zu der Zeit als der Siitonen-Schritt aufkam, befand sich die komplette Rennstrecke vereist. Wir hätten mit Schlittschuhen laufen können. Auch Stollen an den Ski waren keine Seltenheit. Wir sollten uns freuen an dem, was wir heute haben.
Michel Rauch (JG 1943):
Turnlehrer mit Ambitionen.
Michel, du lebtest Sport nicht nur in deinem Beruf?
Exakt. Als Turnlehrer versuchte ich meine Passion weiterzugeben. Über den Erfolg lässt sich diskutieren. Aber meinen eigenen Ambitionen widmete ich mich ausführlich.
Man könnte behaupten: Ausführlich und erfolgreich!
Bei mir kam es zu 45 Teilnahmen am «Passlung», dann kam mir leider das Alter dazwischen. Einige Male konnte ich das Rennen gewinnen. Das ist zwar schön, aber auch nicht alles.
So? Was dann?
Faszinierend war für mich stets der äusserst abwechslungsreiche Streckenverlauf. Dieser führt über offene Wiesen, durch Wald und am vereisten Inn entlang. Das Rennen gilt bis heute als anspruchsvoll, weil stets bergauf, bergab und teilweise verwinkelt. Dazu oftmals die eisige Kälte. Alles in Allem wunderschön. So erinnere ich mich gerne ans Gesamtpaket.
Der «Passlung» war für dich auch eine Familienangelegenheit.
Das waren grossartige Jahre! Zusammen mit meiner Familie zu taktieren und auch meine Kinder gewinnen zu sehen.
Kommst du hier auf die Rennintelligenz zu sprechen?
Für einen Sieg muss alles passen. Eine vielschichtige Thematik! Einerseits braucht es die persönliche Form. Auch das Wissen zur Materialpräparation ist entscheidend. Ich glaube wir hatten zudem einen guten Renninstinkt.
Wie lautet dein Tipp für weitere Langlauf-Generationen?
Trainiere nicht nur den Körper und behalte dir im Rahmen von Fair-Play eine gewisse Schlitzohrigkeit.
Text: Xaver Frieser - OK Präsident Passlung
Bilder: Dominik Täuber
Impressionen vom Passlung
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