Mit Marina unterwegs.
Zum Sonnenaufgang am Piz Daint
Die Nacht liegt noch über dem Tal, als wir am Ofenpass unsere Wanderschuhe und Stirnlampen montierten. «Wemmr los?», fragt Aita, welche sich als gebürtige Münstertalerin bestens in der Region auskennt. So hat sie sich natürlich gleich als unsere Bergführerin qualifiziert und lotst uns gekonnt im Dunkeln durch die Landschaft.
Viel können wir zu Beginn nicht sehen – der erste Abschnitt führt durch einen kleinen Wald, vorbei an hohen Felsformationen am Jalet. Eine fast gespenstische Ruhe begleitet uns auf dem ganzen Weg, ungewohnt in der Dunkelheit durch die Natur zu wandern. An einigen Stellen ist Vorsicht geboten, da der Weg zu unserer Linken hin steil abfallend ist. Doch schon bald erreichen wir die Lichtung «Davo Plattas», auf welcher wir unser Ziel gut vor Augen haben. Direkt hinter dem Piz Daint steht der Mond, zunehmend und als würde er uns oben am Gipfel erwarten.
Stetig bergauf unter dem Sternenhimmel schreiten wir voran und nähern uns dem Berg, welcher zur Umbrail-Gruppe gehört. Der gut ausgebaute Wanderweg endet kurz vor der Traversale und führt von da an über ein Geröllfeld am Fusse des Piz Daint. «Füess lupfa nid vergessa!», meinte unser Tourenguide Aita nur und klärt uns auf unserem Weg über die Hausberge, Traditionen und schönsten Wanderungen im Val Müstair auf. Auf der nächsten Anhöhe angekommen, haben auch unsere Stirnlampen ihren Dienst getan. Am Horizont erscheinen bereits die ersten Orangetöne der aufgehenden Sonne und wir machen uns an die letzten Höhenmeter bis zum Gipfel.
Das Gipfelkreuz fest im Blick kämpfen wir uns die letzten Meter hoch – zwei Schritte vor und einer zurück. Der Weg ist steil, schmal und durch das feine Geröll relativ rutschig. Und plötzlich sind wir da, ganz oben auf 2’968 m ü. M. mit einem unglaublichen und schier unendlich weitem Blick über das Tal und noch viel weiter. Auch der Ortler grüsst in der Ferne und die umliegenden Berge leuchten uns rötlich entgegen. «Uhuara schöön» – treffender kann man es kaum ausdrücken.
Um 05.38 ist es soweit – die Sonne geht auf. Das Farbenspiel, fast hypnotisierend, zaubert allen ein breites Grinsen auf's Gesicht und hat sich wohl in unser aller Gedächtnis eingebrannt. Minutenlanges Schweigen, der Anblick lässt uns sogar die tiefen Temperaturen und den bissigen Wind vergessen. Berge soweit das Auge reicht.
Natürlich darf auch der Eintrag im Gipfelbuch nicht fehlen und gut eine Stunde später begeben wir uns langsam wieder auf den Weg ins Tal. Wir gehen zwar den selben Weg, dieser zeigt sich aber bei Tageslicht von einer ganz anderen Seite. Flora und Fauna können sich sehen lassen – neben diversen Bergblumen, wovon wir einige noch nie zuvor gesehen haben, kreuzen auch ein Steinbock sowie eine uns unbekannte Spezies unseren Weg. Nach anfänglicher Unsicherheit, was dem Geräusch nach ein Frosch in dieser Höhe zu suchen hat, werden wir von dem Tier eines Besseren belehrt – denn es fliegt davon. Lachend stellen wir fest: wir kennen zwar die Region wie unsere Westentasche, aber Ornithologen sind wir bestimmt keine.
Nach etwa einer Stunde sind wir wieder am Ofenpass und geniessen im Hotel Süsom Givé den verdienten Morgenkaffee. Unser Fazit: die zweieinhalbstündige Wanderung zum Piz Daint gehört auf jede Bucket List – egal ob bei Tag oder bei Nacht.
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