Ein kleines Dorf spielt gross auf
Ils Fränzlis da Tschlin
Ils Fränzlis da Tschlin sind eine bekannte Volksmusikgruppe. Sie spielen typische Ländlerstücke, aber ohne Handorgel oder Schwyzerörgeli, sondern nur mit Streich- und Blasinstrumenten, was ihrer Musik einen eigenen Klang verleiht. Sie nennen es den Fränzlisound.
Die Familie Janett aus Tschlin
Ebenfalls besonders ist, dass alle Bandmitglieder auf den Namen Janett hören. Denn die Fränzlis da Tschlin sind eine reine Familienband, bestehend aus zwei Brüdern und ihren Töchtern.
Eine Zweigenerationenband
Madlaina (links im Bild) spielt Bratsche. Daneben sitzt ihr Vater Curdin, Bandleader und Taktgeber am Kontrabass. Die nächste ist Cristina, Cellistin und Madlainas jüngere Schwester. Es folgen Anna Staschia (Geige) und ihr Vater Domenic (Klarinette). Sie sitzen in der Chasa Muttler, ein ehrwürdiges Engadinerhaus direkt am Dorfplatz von Tschlin, wo Curdin und Domenic aufgewachsen sind.
Mit dem Charme des Unterengadins
Viele Jahre war die Chasa Muttler mit den grünen Fensterläden eine Pension mit Restaurant. Hier spielte sich über Generationen das Kulturleben des Dorfs ab. Heute ist das Haus Rückzugsort und Ferienhaus der Familie Janett, um zu muszieren, zu komponieren und sich vom einzigartigen Charme des Unterengadins inspirieren zu lassen – oder um Tschlin in eine Filmkulisse zu verwandeln.
Tschlin ist ein Ort, wo wir gerne komponieren und musizieren.
Madlaina Janett
Denn für das Projekt «Tschlin retour» haben die experimentierfreudigen Fränzlis Verwandte, Freunde und musikalische Wegbegleiter nach Tschlin geladen, um Filmszenen für ihre Bühnenshow zu drehen.
Wie man «Cinemaphon» spielt
Auf der Bühne stehen die Fränzlis, daneben eine grosse Leinwand und sie spielen live zum Film – mehr oder weniger passend. Das Amüsante ist nämlich, dass sie ins Filmgeschehen eingreifen können. Auf Knopfdruck lassen sie zum Beispiel Leute ein- und ausblenden oder den Ort und die Szenerie wechseln.
Uns ist wichtig, keine Scheuklappen zu haben und Neues zu probieren.
Madlaina Janett
Auch kann es vorkommen, dass ein Musikant plötzlich aus dem Bild läuft, um in Fleisch und Blut auf der Bühne zu erscheinen. Auf diese Weise spielen die Fränzlis nicht nur mit ihren Instrumenten, sondern mit sich selbst und dem Dorf Tschlin. Und sie lassen dabei auch Klassik- und Jazz-Elemente in ihre volkstümliche Musik einfliessen.
Dem Publikum etwas bieten
«Uns ist wichtig, keine Scheuklappen zu haben und immer wieder neue Dinge auszuprobieren», sagt Madlaina Janett. «Nicht um damit eine Revolution anzuzetteln, sondern einfach, weil wir dem Publikum Unterhaltung bieten wollen.» Die Bratschistin hat die ehrenvolle Aufgabe, die Konzerte der Fränzlis da Tschlin zu moderieren, und sie ist so etwas wie die Mediensprecherin der Familienband.
Aufgewachsen ist Madlaina in Sulgen im Kanton Thurgau, zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Cristina und Niculin, dem jüngeren Bruder. Der Vater war und ist Berufsmusiker, die Mutter Kindergärtnerin und Flötenlehrerin. «Musik war in der Familie nie etwas Ideologisches, sondern einfach da», sagt sie. «Überall lagen Instrumente herum, auf denen wir Kinder herumfuhrwerken durften. Das machte Spass und war ganz normal. Musikunterricht folgte dann wie automatisch.»
Musik war einfach da und ganz normal für uns Kinder.
Madlaina Janett
Tschlin ist für Madlaina ihr zweites Zuhause. Denn hier hat sie von klein auf ihre Ferien verbracht, als Grossfamilie zusammen mit Cousinen und Cousins, Onkel und Tanten, die allesamt musikalisch versiert sind.
Musikerin, Illustratorin, Tourneemanagerin
«Ich mag das lebendige und ursprüngliche Dorf, die Berglandschaft und die romanische Sprache. Wenn ich in Tschlin bin, rede ich mit allen Leuten Romanisch», sagt die vielseitige Madlaina, die mittlerweile in Zürich lebt. Sie arbeitet als freischaffende Illustratorin und als Tourneemanagerin beim Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester. Daneben eilt sie als Musikerin von Probe zu Probe und von Auftritt zu Auftritt.
Plötzlich Zeit für die Berge
«Viele Jahre war ich ständig unterwegs und hatte deswegen nur wenig Zeit, um in Tschlin zu sein und die schöne Natur zu geniessen. Doch als Corona kam, hatte ich plötzlich freie Zeit», erzählt die Musikerin. «Diese nutzte ich, um endlich einige Berge oberhalb Tschlin zu besteigen. Ich war auf dem Piz Malmurainza und auf dem Piz Salèt. Was für eine Aussicht und Ruhe! Grossartig, aber auch anstrengend und herausfordernd. Denn es führt kein Wanderweg hoch, auch wenn Jäger etwas anderes behaupten mögen.»
Eine Bergtour im Unterengadin ist unvergesslich schön.
Madlaina Janett
Warum nicht Bratsche
Madlaina spielt verschiedene Instrumente und meint, sie sei mehr die Allrounderin als die Virtuosin. Lange war Klavier ihr Hauptinstrument. Mit Bratsche begann sie, weil auch sie in einem Orchester mitspielen wollte. «Meine Schwester und Cousine spielten bereits Cello und Geige; also habe ich gedacht, eine Bratsche komplettiert das Ganze.»
Die Premiere von «Tschlin retour» fand am 13. April 2022 im Theater Chur statt.
Die Geschichte der Fränzlis da Tschlin
Ils Fränzlis da Tschlin bestehen seit 1982 in wechselnder Besetzung. Vorbild und Namensgeber war der blinde Geiger Franz-Joseph «Fränzli» Waser (1858 – 1895). Er stammte aus Chaflur, unweit von Tschlin, und spielte zusammen mit seinen Brüdern und Kumpanen im ganzen Engadin zum Tanz auf. «Fränzli» Waser muss dabei so meisterhaft Geige gespielt haben, dass er in all den Jahren nie in Vergessenheit geriet.
Den Sound Engadins wiederaufleben lassen
Schliesslich war es Men Steiner aus Scuol, der anfangs 1980er die Idee hatte, den «Fränzlisound» für ein Schallplattenprojekt wiederaufleben zu lassen. Er liess einige Musiker zusammentrommeln, darunter die Gebrüder Janett, um Engadiner Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts aufzunehmen – im alten Stil, nur mit Streicher und Bläser.
Erfolgreich in der ganzen Deutschschweiz
Es existieren zwar keine Tonaufnahmen von den Ur-Fränzlis, doch viele Legenden und einige Fotografien. Inspiration genug, um sich auszumalen, wie ihre Musik geklungen haben könnte. Vorgesehen war lediglich eine einmalige Zusammenkunft; doch im Fränzlistil zu fiedeln und zu dudeln, machte den Musikern dermassen Spass, dass sie anfingen Konzerte zu geben. Und schon bald traten «Ils Fränzlis da Tschlin» erfolgreich in der ganzen Deutschschweiz auf.
Wie die Frauen die Oberhand gewannen
Die Brüder Curdin und Domenic Janett waren von Anfang an dabei. Madlaina Janett übernahm 2001 den Bratschistenposten von Flurin Caviezel. Die Cellistin Cristina Janett ersetzte 2012 den Kornettisten Duri Janett (ebenfalls ein Bruder und Onkel). Und seit Anna Staschia Janett 2014 den Geigenpart von Bandgründer Men Steiner übernommen hat, bilden die Frauen die Mehrzahl bei den Fränzlis. Übrigens: Dass man ein Kornett mit einem Cello ersetzen kann, hat selbst die Fränzlis überrascht, doch tönen tut’s nach wie vor «schmaladi bun».
Text: Franco Furger
Video: OnAir AG
Bilder: Andrea Badrutt, Chur & Kulturarchiv Oberengadin